Holz mehrfach nutzen

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Drängende Ressourcenfragen stellen die Gesellschaft vor die Herausforderung, in Kreisläufen zu denken und zu handeln. Der Wald zeigt uns auf, wie es funktionieren kann. Es wäre an der Zeit, seinem Vorbild zu folgen und auch im Bauen mit Holz die Vorteile kreislaufgerechten Handelns auszunutzen. Holz mehrfach zu nutzen, verlängert die temporäre Speicherung von Kohlenstoff und erhöht die Wertschöpfung des geernteten Holzes.

Aus Bucheckern wächst ein neuer Baum: der Waldboden zeigt uns wie Recycling die Grundlage für neues Wachstum sein kann.
© Fachstelle für Gebirgswaldpflege. Foto: Raphael Schwitter

Der Wald als Vorbild für Kreislaufwirtschaft

Kantonsförster Theo Weber erzählt darüber, wie der Wald in faszinierender Weise Parallelen zu unserem menschlichen Leben und unserer Gesellschaft aufweist. Der Wald funktioniert als regeneratives System und zeigt eine Kreislaufwirtschaft, in der Abfall unmittelbar verwertet wird. Im hochkomplexen Boden bauen Mikroorganismen organische Stoffe wie Laub, abgestorbene Wurzeln und Astteile ab, sie bilden Humus als die Grundlage für neues Baumwachstum. Unter natürlichen Bedingungen erreicht jeder Wald ein dauerhaftes Gleichgewicht, bekannt als Klimax. Wenn ein Wald altersbedingt zusammenbricht, entstehen Pionierwälder mit lichtbedürftigen Arten wie Birke, Weide und Zitterpappel. Nachfolgend wachsen im Schatten dieser Pioniere anspruchsvollere Baumarten wie Tanne, Fichte und Buche heran. Die Sonne spendet die notwendige Energie und die Stoffkreisläufe sind geschlossen. Der Wald entwickelt dabei ein nachhaltiges Gleichgewicht, ohne Ressourcen zu verbrauchen oder schädliche Emissionen und Abfall zu produzieren. [1]

Theo Weber, Vorsteher Amt für Wald und Natur / Kantonsförster, Kanton Schwyz:
«Der Wald ist das perfekte Vorbild für Kreislaufwirtschaft.»
© INNOwood 2023

In Kreisläufen denken und kaskadisch nutzen

Der Wald geht sehr sorgfältig mit seinen Ressourcen um, nichts wird verschwendet oder weggeworfen. Wenn wir mit der gleichen Sorgfalt die Nutzung seines Produktes ‹Holz› fortführen, bedeutet dies, dass wir in Holz-Kreisläufen denken müssen oder das Holz möglichst lange oder mehrfach hintereinander nutzen. Diese mehrfache Nutzung wird auch ‹kaskadische Nutzung› genannt. [2][3]

Kaskadennutzung. © INNOwood 2023

In der kaskadischen Nutzung steht am Beginn der Nutzung die möglichst hochwertige Verwendung des Holzes, zum Beispiel als Vollholz für Möbel oder als Werkstoff im Bau für massive Wände und Decken, Tragkonstruktionen oder in der Fassade. Wird ein solches Gebäude, Bauteil oder einzelnes Möbel nicht mehr benötigt, wird es um- oder zurückgebaut, schlimmstenfalls abgebrochen. Ist eine hochwertige Wiederverwendung als Bauteil oder Möbel nach dem Ende dieses ersten Lebenszyklus nicht mehr möglich, kann das Material noch immer zu Spanplatten verarbeitet werden. Eine andere Möglichkeit besteht darin, daraus Papier, Karton oder auch chemische Stoffe in einer Bioraffinerie zu gewinnen.

In einer Nutzungskaskade nimmt die Qualität mit jeder Stufe ab. Das heisst, das Holz wird mit jeder Stufe für weniger anspruchsvolle Zwecke genutzt, bevor es vollständig ausgeschöpft ist. In diesem Vorgehen steht die energetische Nutzung (Verbrennung) aber erst am Ende, wenn keine stoffliche Nutzung mehr möglich ist. Dieser Prozess in der Nutzungskaskade ist unumkehrbar und bedeutet Stufe um Stufe einen Qualitätsverlust beim Material.

Der Wald bietet eine grosse Auswahl

Holz kann also als Werkstoff mehrere Leben haben. Die Möglichkeiten der Nutzungskaskade des Holzes sind abhängig von der Qualität und der vorhandenen Dimension, die zu Beginn an zur Verfügung stehen.

Wenn ein Baum geerntet wird, entstehen unterschiedliche Sortimente und Grössen von Holz, die je nach Verwendungszweck variieren. Als Hauptsortimente, die in der Schweiz üblich sind, können das Stammholz, das Industrieholz und das Brennholz genannt werden. Neben diesen Hauptsortimenten entsteht bei der Verarbeitung in Sägereien, Tischlereien auch sogenanntes Restholz wie Sägespäne und Holzreste. [4] Diese können in der Herstellung von Holzpellets, als Einstreu in der Landwirtschaft oder in der Spanplattenproduktion verwendet werden.

Stammholz bezeichnet das Holz aus dem Hauptstamm des Baumes. Es ist ideal für hochwertige Anwendungen im Bau- und Möbelbaubereich. Die bei der Ernte ebenfalls anfallenden Äste, Zweige und kleinere Stammteile können nicht so gut für grosse Bauteile im Holzbau, die hohe Ansprüche an die statischen Eigenschaften stellen, verwendet werden. Diese werden als Industrieholz bezeichnet und finden in der Papier- und Zellstoffindustrie oder Holzwerkstoffproduktion Verwendung. Dieses Holz wird auch thermisch in der Energieerzeugung oder stofflich in holzbasierten Bioraffinerien für die Verwendung von biobasierten Chemikalien und Materialien eingesetzt.

Eine nachhaltige Waldwirtschaft ist bestrebt, alle Teile eines geernteten Baumes so effizient wie möglich zu nutzen, um die Ressourcennutzung zu optimieren.

Die Realität in der Schweiz sieht anders aus

Die Realität in der Altholzverwertung in der Schweiz entspricht allerdings noch nicht der Idealvorstellung der kaskadischen Nutzung. Der Anteil von Holz, der nach dem Ende des ersten Lebenszyklus direkt in die thermische Verwertung fliesst, überwiegt. Eine Studie der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL aus dem Jahr 2017 zeigt, dass die inländische stoffliche Nutzung noch sehr gering ist und ein hoher Anteil der thermischen Verwertung zugeführt wird. [5]

Die Herausforderung in der stofflichen Wieder- oder Weiternutzung sind Schadstoffbelastungen aus Beschichtungen oder Oberflächenbehandlungen des ursprünglichen Holzes. Solche Hölzer können, je nach Schadstoff, auch als Sonderabfall gelten. [4] Eine weitere stoffliche Verwendung ist dann nicht mehr möglich.

Michiel Fehr, Fachbereichsleiter Dienststelle Landwirtschaft und Wald, Kanton Luzern:
«Damit keine Konkurrenz zwischen stofflicher und energetischer Verwendung entsteht, muss die Branche zusammenspannen. Was im Bau stofflich (mehrfach) genutzt wurde, soll später immer noch als Energieträger eingesetzt werden.»
© INNOwood 2023

Bauteile und Produkte wiederverwenden

Hochwertiges Holz sollte möglichst naturbelassen eingesetzt werden. Dann kann es nach Möglichkeit bei der Mehrfachnutzung hochwertig wiederverwendet werden. Die ‹Wiederverwendung› bezeichnet dabei den Einsatz eines Bauteiles in der gleichen Funktion wie im ursprünglichen Einsatzgebiet (Re-use). Ein Dachbalken kann also als Dachbalken erneut eingesetzt werden. Ideal ist es, wenn so wenig wie möglich angepasst werden muss (zum Beispiel die Länge). Wenn der Einsatz nicht in der gleichen Funktion möglich ist, dann spricht man von ‹Weiterverwenden›. Bei der Weiterverwendung wird aus dem Dachbalken gegebenenfalls Teil eine Rahmenkonstruktion für eine Wand oder einer Tragkonstruktion für einen Balkon. Voraussetzung für beides ist, dass die Bauteile einfach auseinandergenommen und wieder zusammengesetzt werden können. [2]

Ist beides nicht möglich, dann ist eine Wieder- oder Weiterverwertung im Sinne eine kaskadischen Nutzung möglich. In dem Fall wird das enthaltene Holzprodukt in seine Bestandteile zerlegt, zum Beispiel Papier in Fasern, die dann den Rohstoff für die Papierproduktion darstellen. Damit geht eine Verringerung der Verwendungsvielfalt einher: etwa die Verarbeitung von Vollholzmöbeln oder Paletten zu Holzspänen bzw. Spanplatten. Altholz, das nicht mit Schadstoffen belastet ist, kann aber zuerst zu Holzwerkstoffen wie Spanplatten verarbeitet werden. Dadurch kann Frischholz ersetzt werden. Eine spätere energetische Nutzung ist dann immer noch möglich.

Holz hat grosses Potenzial, nicht-erneuerbare Ressourcen zu ersetzen

Sogenannte ‹trockene› und damit leicht lösbare Verbindungen charakterisieren den traditionellen Holzbau. Neue Technologien in der Fertigung prägen den heutigen Holzbau. Elementierung und das Fügen vorgefertigter Bauteile gehören zu den Stärken des modernen Holzbaues. Die Mischung aus Tradition und Technologie zeigt, dass der Holzbau heute gute Voraussetzungen für das kreislaufähige Bauen mitbringt. Ganze Bauteile und Bauelemente können als Einzelkomponenten jenseits der thermischen Verwertung oder der Kaskadennutzung einer tatsächlichen hochwertigen Wiederverwendung ohne Qualitätsverlust zugeführt werden. Gleichzeitig kann der heutige Holzbau im Bauwesen energie- und emissionsintensive Baustoffe ersetzen (Substitution) und so einen weiteren Beitrag zur Ressourcenschonung und zum Klimaschutz leisten.

Projekt BIMwood, 2020-2022:
«Die Technologien im heutigen Holzbau und die Logik des vorgefertigten Bauens mit grossformatigen Elementen bieten ideale Voraussetzungen für kreislaufgerechte Konstruktionen im Holzbau.»
© BIMwood 2022, Bilder: [V1]

Das Projekt BIMwood bietet Tipps, wie Planungsteams im Holzbau zielgerichtet zusammenarbeiten sollen: BIMwood

Sowohl kreislauffähiges Bauen als auch die Kaskadennutzung helfen, Ressourcen besser zu nutzen, indem ein Material mehrmals oder in verschiedenen Stufen verwendet wird. Das sorgt dafür, dass wir länger etwas von dem Material haben und es effizienter nutzen können. Kohlenstoff bleibt länger im Material gespeichert, was gut für die Umwelt ist. Forschungen zeigen, dass die Kaskadennutzung das Treibhauspotenzial um etwa 10 Prozent reduzieren kann. [6] Ein grosser Vorteil ist auch, dass wir weniger frisches Holz aus dem Wald benötigen, weil wir Altholz wiederverwenden. Das spart nicht nur Ressourcen, sondern kann auch dazu beitragen, dass wir weniger auf nicht erneuerbare Ressourcen angewiesen sind.

Holz ist eine viel begehrte Ressource

Ökologische Zielsetzungen sorgen für einen ständig steigenden Trend zum Bauen mit Holz. Auch im Energiebereich ist die Nachfrage nach Holz als Ersatz nicht-erneuerbarer Energiequellen, oder Nutzungen in der holzbasierten Bioökonomie zunehmend. Parallel dazu soll im Zuge der Klimazielsetzungen in der EU mit dem sogenannten ‹Green Deal› unser gesamtes Wirtschaftssystem ‹grüner› gestaltet werden. Fossile Kohlenstoffe sollen durch nachwachsende Kohlenstoffquellen ersetzt werden. [7]

Eine solche nachwachsende Kohlenstoffquelle ist das Lignin, ein natürlicher Bestandteil von Holz und Pflanzen, der eine mögliche Alternative zu Erdöl in der Kunststoffindustrie darstellt. Bei der Verwendung in der holzbasierten Bioraffinerie können über die Nutzung als Holzenergie oder Bauholz hinaus alle Bestandteile eines Baumes, inklusive der kleineren Äste und Zweige, ganzheitlich genutzt werden.

Holzbasierte Bioraffinerie

Die holzbasierte Bioraffinerie stellt aus dem nachwachsenden Rohstoff ‹Holz› Produkte und Energie her. In unterschiedlichen Prozessen wird in Bioraffinerien Biomasse zu Produkten wie Verpackungsmaterialien, Textilien, Schuhe oder auch zu Bauprodukten umgewandelt. Auch Treibstoffe, Wärme oder Strom werden erzeugt, ebenso Grundstoffe für die Lebensmittelindustrie oder für Chemikalien. Ein grosser Mehrwert besteht darin, dass so fossile Grundstoffe ersetzt werden können [8]. Dieses Wirtschaftssystem nennt man Bioökonomie.

Diese vielfältigen Einsatzmöglichkeiten des Rohstoffes ‹Holz› steigern aber den Anforderungsdruck auf den Rohstofflieferanten ‹Wald›. Die Endlichkeit fossiler Ressourcen und der zunehmende Bedarf bedingen eine steigende Nachfrage. Die Ressource ‹Holz› ist zwar erneuerbar, aber dennoch nicht unendlich verfügbar. Die vielen verschiedenen Nutzungen, angefangen bei der stofflichen Nutzung etwa als Baustoff über die Verwendung in der holzbasierten Bioraffinerie bis hin zur energetischen Verwertung stehen in Konkurrenz zueinander.

Trotz des noch nicht ausgeschöpften Holznutzungspotenzials in der Schweiz ergeben sich immer wieder Engpässe in der Versorgung der Bauindustrie mit Holz. Ausserdem nehmen global ausgeprägte Preisschwankungen und Versorgungsengpässe zu. Einer nachhaltigen Waldwirtschaft muss weiterhin nicht nur die Holzernte in der Schweiz selbstverständlich sein.

Hier wäre es wichtig, zukünftig auch die Kreislaufwirtschaft und die Mehrfachnutzung als selbstverständlich zu erachten. Es gilt, die Ressource ‹Holz› länger in der Verwendung zu halten, sodass für den gleichen Nutzen weniger Holz benötigt wird. Produkte aus hochwertigem Holz, so Bauteile und Möbel, müssen möglichst ohne Qualitätsverlust wiederverwendet werden. In der kaskadischen Nutzung gilt es bestehende Verwertungslücken zwischen Holzbau einerseits und Verbrennung andererseits zu schliessen. Dies könnte durch eine breitere stoffliche Nutzung der wertvollen Ressource ‹Holz› möglich sein. Wohin die Reise geht, hängt von der technologischen Entwicklung, der Verfügbarkeit des Holzes sowie von den unterschiedlichen Gewinnmargen in der Holzverwertung ab.

Quellen

[1] Weber, Theo │ Interview am 24.10.2023. Geführt von Jara Malevez.

[2] Schuster, Sandra; Geier, Sonja | circularWOOD. Paradigmenwechsel zur Kreislaufwirtschaft mit Holz. BBSR-Online-Publikation 15/2023, Bonn. S. 9.

[3] WaldSchweiz (Hrsg.) │ Rohstoff Holz. Abgerufen am 24.11.2023.

[4] Frey, Urban │ Herausforderung Altholzverwertung und -entsorgung. Vortrag am Schweizer Sonderabfalltag 2022.

[5] Erni, Matthias; Thees, Oliver; Lemm, Renato │ Altholzpotenziale der Schweiz für die energetische Nutzung. Ergebnisse einer Vollerhebung. WSL Bericht 52, 2017. S. 13;34.

[6] Höglmeier, Karin, Steubing, Bernhard, Weber-Blaschke, Gabriele & Richter, Klaus │ LCA-based optimization of wood utilization under special consideration of a cascading use of wood. Journal of environmental management, 152/2015, 158–170. https://doi.org/10.1016/j.jenvman.2015.01.018

[7] Europäische Kommission │ A sustainable Bioeconomy for Europe: Strengthening the connection between economy, society and the environment. Abgerufen am 27.11.2023.

[8] Michael Studer, Pieter Poldervaart │ Neue Wege zur holzbasierten Bioraffinerie. Thematische Synthese im Rahmen des Nationalen Forschungsprogramms NFP66 ‹Ressource Holz›, Schweizerischer Nationalfonds. Bern, 2017. S.5–7.

[V1] Aufnahmen: © BIMwood, 2022. Jara Malevez